Günther

DER SPIEGEL 35/1953

26.08.1953

RÜCKERSTATTUNG

Das sittliche Handeln

Die Ehefrau Johanna Tremmel war schon damals dagegen gewesen, als ihr Mann 1937 das Haus der jüdischen Familie Strauß kaufen wollte. Denn Frau Tremmel hatte sich immer einen Garten gewünscht, und zu diesem Haus gehörte keiner. Ruben Strauß aber wollte mit seiner Familie aus dem Nazi-Deutschland auswandern und kam immer wieder abends mit seinem Auto vor der Tremmelschen Wohnung vorgefahren, um den Hausverkauf voranzutreiben. Am 20. Juli 1937 gab Ehefrau Tremmel schließlich nach. Für 7500 Mark wechselte das Häuschen den Besitzer, und über den Kaufpreis konnte Ruben Strauß frei verfügen. Er benutzte das Geld, um sich von Fechenbach, einem kleinen Main-Dorf mit einer Synagoge und einem jüdischen Friedhof, nach New York in Sicherheit zu bringen. Von den beiden Familien, die 1937 in aller Freundschaft den Verkauf beschlossen, leben heute nur noch die Söhne. Vater Strauß verstarb in New York. Tremmels Sohn Günther ist seit seinem 16. Lebensjahr Vollwaise. Er erhoffte sich aus der Vermietung des Gebäudes einmal einen Zuschuß für sein Studium. Bevor jedoch Tremmel jr. dieses Studium begann, wurde 1948 in der Bundesrepublik das Rückerstattungsgesetz erlassen, mit dem sich auch der Erbe des Häuschens in Fechenbach auseinandersetzen mußte. Tremmel war davor nicht bange, denn er hatte die Einstellung seines verstorbenen Vaters den Juden gegenüber noch gekannt. Auch der Sohn Leopold Strauß in New York wußte noch um das gute Einvernehmen beider Familien. Er reichte keinen Rückerstattungsantrag ein. Aber jemand anders erhob plötzlich Anspruch auf Herausgabe des 1937 völlig legal und freiwillig verkauften Gebäudes in Fechenbach: die jüdische internationale Restitutions-Nachfolgeorganisation (JRSO). Diese Vereinigung, die sich laut Gesetz Nr. 59 mit der Regelung erblosen jüdischen Vermögens in Deutschland befaßt, meldete fristgemäß bis zum 31. Dezember 1948 einen Anspruch auf Tremmels Häuschen an. Das Jahr 1949 ging noch vorüber, ehe Günther Tremmel von dieser Anmeldung erfuhr und sich an Leopold Strauß in New York wandte. Von dort erhielt er postwendend eine Antwort, die ihn aller Sorgen zu entheben schien "In Erledigung Ihres Schreibens vom 3. April 1950 bestätige ich Ihnen hiermit, daß ich auf das von Ihrem Vater gekaufte Haus keinerlei Ansprüche stelle und den Hausverkauf für richtig anerkenne." An die jüdische JRSO aber schrieb der Sohn vom alten Strauß energisch: "Ich habe nach dem Verkauf des Hauses niemals irgendwelche Ansprüche gemacht und würde mich schämen, dies zu tun, da Herr Tremmel ein wirklich guter alter Judenfreund war." Die jüdische Weltorganisation identifizierte sich nicht mit dieser Scham. Sie erhob vor den Wiedergutmachungskammern des Landgerichts Würzburg wie auch des Oberlandesgerichts München Klage gegen den Werkstudenten Tremmel. Beide Kammern lehnten diese Klage jedoch ab, indem sie begründeten, eine Nachfolgeorganisation könne niemals Rechte erwerben, die der geschädigte Vorgänger weder hatte noch geltend machen wollte. Günther Tremmels Fall kam vor das US - Rückerstattungsgericht in Deutschland, den Nürnberger CORA-Gerichtshof (Court of Restitution Appeals). Seine Richter bescheinigten dem vor ihre Schranken zitierten Studenten zwar, er habe einen ausgezeichneten Eindruck bei ihnen hinterlassen, sein Recht aber bekam Tremmel auch in Nürnberg nicht. Was ihm im Nürnberger Kriegsverbrechersaal als Begründung verlesen wurde, war dieses: Weil Leopold Strauß in New York es versäumt hat, bis zum 31. Dezember 1948 formgerecht auf seine Ansprüche zu verzichten, ist der Rückerstattungsanspruch endgültig auf die JRSO übergegangen. Also muß das Haus zurückgegeben werden. Student der Rechte Günther Tremmel hörte diese Entscheidung mit einigem Erstaunen. Zu allem Überfluß stand ihm bei der Verhandlung nun auch noch nicht etwa ein Angestellter der jüdischen Weltorganisation oder ein von ihr honorierter Anwalt gegenüber, sondern der Assessor Dr. Hans Neidiger von der Oberfinanzdirektion Nürnberg. Neidiger vertrat im Kriegsverbrechersaal den Freistaat Bayern. Denn der Anspruch der jüdischen Nachfolgeorganisation ist am 29. Juli 1952 auf den Freistaat Bayern übergegangen*), und Bayern trat als Kläger gegen seinen Bürger Tremmel auf. Das amerikanische Gericht nun entschied zugunsten Bayerns und gab dem Freistaat damit die Möglichkeit, einen Akt zu vollziehen, dessen sich Leopold Strauß schämen würde. Noch gehen die Mieten des Hauses Fechenbach Nr. 20 auf ein Sperrkonto. Die Wiedergutmachungskammer in Würzburg hat Tremmel aber schon angewiesen, eine Aufstellung über die seit seinem Erwerb aus dem Hause gezogenen Nutzungen zu machen. Das Urteil des US-Gerichtshofes sieht außerdem vor, daß der Freistaat Bayern Günther Tremmel im Grundbuch als Besitzer löschen und sich selbst eintragen kann. Damit wurden die rechnerischen und gesetzlichen Vorbedingungen für die Übergabe des Hauses an den bayerischen Staat geschaffen. Bayern braucht jetzt seinerseits an Tremmel nur ganze 750 Mark zur Erfüllung des Gerichtsurteils zu zahlen. Als abgewerteten DM-Kaufpreis. Meint der Student Tremmel: "Wissen Sie, ich habe während des Studiums manchmal gehört, daß doch das Recht wichtiger sein muß als das Gesetz, und jetzt soll ich das Letzte loswerden, was ich habe. Kann denn der Staat, der die Bürger zum sittlichen Handeln anhält, seinen Bürgern gegenüber selbst sittenwidrig handeln?"


DER SPIEGEL 35/1953
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